Interview

„Daten sind gut für die Gesundheit“

Gesundheit wird digital, sagt Kai Rahnenführer, Managing Director bei umlaut. Technologie schafft Chancen für Diagnose, Therapie – und mehr Eigenverantwortung.

Die Digitalisierung der Gesundheit ist im Alltag angekommen – zum Beispiel als Fitness-Tracker am Handgelenk. Welches Potential sehen Sie, über das „Gadget“ hinaus?

Das ist ein Megatrend, der gerade erst startet. Die Verfügbarkeit von Gesundheitsdaten – vor allem die von Datenreihen –ermöglicht vieles. Zum Beispiel Hilfe bei der Diagnose von Herz-Rhythmus-Störungen, die Messungen über längere Zeiträume voraussetzen. Oder für schleichende Prozesse wie Demenz. Fitness-Tracker oder Smartwatches sind nur der Anfang. Es wird in vielen Alltagsbereichen schon empfindliche Sensorik verbaut, zum Beispiel im Smart-Home oder im Auto. Warum sollten wir die nicht für unsere Gesundheit nutzen?

Die Digitalisierung nimmt gerade erst Fahrt auf und im Gesundheitsbereich liegt ein riesiges Potential, das Patientenwohl und Sicherheit zu steigern und stärker den Bereich von Prävention und Früherkennung zu fördern.

Sagt mir künftig mein Auto, ob ich krank bin?

Ich denke im ersten Schritt sagt das Auto: Vielleicht sollten Sie zum Arzt gehen. Ein Arzt oder eine Ärztin bekommt dann aber schon Daten mitgeliefert. Zum Beispiel eine über längere Zeit kontinuierliche Messung des Herzschlags, die von Sensoren im Lenkrad aufgezeichnet wird. Auf der Grundlage würde eine schnellere und gezieltere Diagnose möglich. Die gesparte Zeit können Ärzte für Beratung und Gespräch einsetzen. Die Zeit im Auto kann in Zukunft besser genutzt werden und kann zum interaktiven virtuellen Warteraum werden.

Warum gewinnt die Digitalisierung des Gesundheitswesens gerade jetzt an Geschwindigkeit?

Die Gesundheitssysteme sind in den letzten Jahrzehnten unter Druck geraten. Das haben viele Länder in der Corona-Pandemie gespürt. Krankenkassen und Gesundheitseinrichtungen sollen deshalb effizienter werden, auch mithilfe umfassender Digitalisierung. Dafür gibt es Anreize, in Deutschland beispielsweise durch Förderung des Bundes im Rahmen des Krankenhauszukunftsgesetzes.

Dazu kommt, dass Menschen mehr Verantwortung für ihre eigene Gesundheit übernehmen. In den USA ist das selbstverständlich, weil das Gesundheitssystem dort kommerzieller organisiert ist. Aber auch in Europa spielt das eine wachsende Rolle: Dass mich beispielsweise eine App an Bewegung, gesunde Ernährung, regelmäßiges Trinken erinnert, um Erkrankungen vorzubeugen.

Welche konkreten Anwendungen erwarten Sie in der näheren Zukunft?

Es gibt beispielsweise ein Projekt, das sich mit der Erkennung von Schlaganfällen durch Kamerasysteme im Auto befasst. Bei dem Thema ist die erste halbe Stunde entscheidend für die gesundheitlichen Folgen. Hier könnte ein System den Schlaganfall erkennen, einen Arzt informieren und beispielsweise in den teilautonomen Modus umschalten, um sicher eine Abfahrt zu erreichen. Beim Thema Demenz könnte die Benutzung der Fahrzeug-Software bei der Diagnose helfen– also ob sich beispielsweise Orientierung und Reaktionszeiten bei der Bedienung von Menü-Elementen verändern.

Die größte Entwicklung steckt aber in der besseren Auswertung und Verknüpfung von Gesundheitsdaten – in Deutschland ist die elektronische Gesundheitsakte da ein erster Schritt. Von besseren Diagnosen über die Prognose von Erkrankungen und Verläufen bis hin zur individualisierten Medizin ist in der Folge vieles denkbar.

Wer trägt in so einem Szenario die Verantwortung für den richtigen Umgang mit diesen sensiblen Daten?

Natürlich muss es klare Grenzen geben, welche Informationen beispielsweise Ärzte, Krankenkassen oder auch Arbeitgeber erhalten. Das ist dann eine Frage von Rechtekonzepten. Im Großen werden hier aus meiner Sicht drei Aspekte verhandelt: Die medizinische Machbarkeit, die ethische Verantwortung und die ökonomische Realität – was kann sich der Einzelne oder das Gesundheitssystem leisten. Diese Dinge müssen in ein Gleichgewicht gebracht werden.

Sie arbeiten selbst an Digitalisierungsprojekten im Gesundheitswesen – was sind Ihre Erfahrungswerte?

Wir haben gerade eine Kooperation mit Flying Health gestartet, die ein großes Netzwerk im Gesundheitswesen und einem Inkubator für Startups mitbringen. In diesem Umfeld können wir zielgerichtet unterstützen, indem wir bei komplexen Prozessen den Überblick behalten oder durch technisches und digitales Know-How Impulse setzen. Das können zum Beispiel Verbesserungen bei Sensorik, IT-Sicherheit oder die Vorbereitung von Datenanalysen sein.

Konkrete Erfahrungswerte haben wir unter anderem mit unserem einzigartigen Service, dem Telenotarzt im kommunalen Rettungsdienst gesammelt. Dieser kann, da er virtuell vor Ort ist, in unterschiedlichen Regionen bei bis zu drei zeitversetzen Notfalleinsätzen parallel das Rettungsteam vor Ort unterstützen und so Leben retten.

Die telemedizinische Versorgung von Notfallpatienten und gleichzeitige Unterstützung der Einsatzkräfte vor Ort geschah schon in mehr als 25.000 Einsätze des Regelrettungsdienstes in Deutschland.

Aus der Entwicklung und dem heute im Realbetrieb befindlichen Telenotarzt ergab sich der Bedarf für ein weiteres Projekt: Vetora, ein Echtzeit-Management-System für den Austausch von Daten aus dem Rettungsdienst (Präklinik) und den Kliniken. Hier steht der Echtzeit-Informationsaustausch der Patientenströmen aus dem Rettungsdienst in die Kliniken sowie die (Rück-)Meldung der Kliniken von verfügbaren Behandlungskapazitäten im Vordergrund. Darüber hinaus werden Logistik (Eintreffzeit) sowie Patientendaten (Erkrankung, Schweregrad, Vitaldaten) über eine Art Arrivalboard mit den Kliniken geteilt. Dies sorgt für eine Beschleunigung der relevanten Daten, stärkt die Versorgungskette und steigert die Effizienz.

 

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